Der letzte Gang durchs Dorf
Vom Kirchplatz gehen wir aus. Da steht die alte kleine Schule, die schon vieles gesehen hat. Die Alten und Ältesten saßen hier als Kinder in den Schulbänken. Eine Zeitlang lagerten Futtermittelsäcke in diesem Raum. Zwischendurch war sie Versammlungsraum. Während des Weltkrieges war sie sogar mit Stacheldraht umgeben, Aufenthaltsort der Kriegsgefangenen. Zu hoher Würde aber gelangte der Raum, als nach dem Abbruch der alten Kirche hier die Altarreliquien aufbewahrt wurden. Wißt ihr noch, wie diese dann in feierlicher Prozession in die neue Kirche übertragen wurden? Der Platz aber war Mittelpunkt des Dorfes. Hier begannen ja alle Prozessionen. Hier war der feierliche Auftakt des Schützenfestes. Hier vor dem Denkmal, das den auferstandenen Heiland mit der Siegesfahne darstellt, fand die jährliche Kriegerehrung statt. Wir werden das Denkmal in der Zukunft unter den Wahnern bei Rupennest wiederfinden. Wir gehen durch die lange „Nordend“ Straße. Links das ausgedehnte Püngelsche Gehöft, rechts die Lehrerwohnung, und kommen zu einem zweiten kleinen Mittelpunkt, dem Platz, wo die Straßen sich am Spritzenhaus kreuzen. Es geht links herunter zum „Piepenhauk“. Wißt ihr noch, wie 1928 an Mariä Empfängnis während der Vesper Lembecks Scheune brannte?
Dierk sin olle Hüerhus ist wohl eines der ältesten Häuser des Dorfes. Bei Rüters beginnt der „Sand“. Ein „Ruiter“ wird in alten Akten genannt als Bauerrichter und Führer des Dorfes in der napoleonischen Zeit. Auf dem Teerberg standen einstens die sieben Teeröfen des bekannten „Teer-Albert“ (Albert Rümpker). Mit diesem Teer wurden die Holzachsen der Wagen geschmiert. „Teer-Albert“ zog mit seinem Teerwagen durch die Dörfer und verkaufte überall. Weiter im Sand war 1900 der Anfang des großen Brandes. Die vielen schönen neuen Häuser sind im Sand nach 1900, vor allem im letzten Jahrzehnt entstanden, sogar eine kleine Holzschuhfabrik. Überragt wird der Sand von der alten Windmühle auf dem Mühlenberg. An den Ostertagen war hier ein reges Leben der Kleinen, die hier an diesen Tagen am „Eierkollern“ waren.
Der Übermut führte einige größere Jungen zum Versuch, ob sie ein Ei über die Mühle hinwegschleudern konnten, das dann in „Krömers Roggen“ gesucht wurde. Zu dem Heidehügel hinter den „Kaninks-Dänen“ aber schleppte die Jugend tagelang die dürren Sträucher, und am Osterabend flammte dort das große Osterfeuer auf. Alle „Sandkers“ und auch viele aus dem Dorf umstanden das lodernde Feuer. Unter ihnen auch Pfarrer Reckers. Im großen Chor erschallten die Auferstehungslieder in den stillen Oster abend. Über den Esch gehend, stehen wir an einer altehrwürdigen Stätte: an der alten kleinen Valentinsklause. Hier stand die erste Kirche des Ortes, deren Patron der hl. Valentin war. Neben der Kapelle am Straßenrand steht noch heute ein verschließbarer alter Opferstock. Handelsleute warfen Geld hinein, wenn sie in alten Zeiten nach Sögel reisten. Sie glaubten, dann vor dem Überfall geschützt zu sein. Hier ziehen auch alle Prozessionen und Umzüge vorüber. Um Fronleichnamstag umsäumten Girlanden den alten Kapellenplatz. Links liegt Küwens Hof mit seinen herrlichen Buchen.
Wer kennt nicht „Küwens Trintke“, die aus Wahns alter Zeit soviel zu erzählen wußte. Die Straße vom „Oberend“ fällt gefährlich steil ab. Erinnert ihr euch auch, daß hier der Bischofsempfang stattzufinden pflegt? Es war schon ein kleines Meisterstück, den vierspännigen Bischofswagen hier so plötzlich zum Stehen zu bringen. Wir gehen links über den „Schrapphauk“ (hier wohnte einmal ein Bauer „Schrapper“), an Winkels Lourdesgrotte vorbei zum Friedhof. Unsern Toten des Friedhofs widmen wir morgen einen besonderen Gang. Weiter gehen wir am neuen kleinen Schulgebäude vorüber und am Pastorat, ehedem von Lehrer Kramer erbaut, später Pfarrhaus geworden. Ein Haus, zu dem die Wahner sowohl in frohen wie auch in schweren Stunden gern ihren Weg nahmen. Übers Feld gehend, kommen wir zum Bahnhof, widmen aber erst noch einen Gang den neuen Häusern am Kojenberg. Auf dieser Höhe loderten zu mehreren Malen die großen Feier auf, wenn die Gemeinde die Papstjubiläumsfeiern um die Jahrhundertwende festlich beging. Schon hören wir das Pfeifen des „Pingel-Antons“, des Hümmlinger Bähnchens. Viele treue Dienste hat dieser „wandernde Geselle“ uns allen schon geleistet. Angefangen mit den Transporten nach dem großen Brande. Viel Leben gab es hier, wenn die vielen „Biggen“ während des Zugaufenthaltes eingeladen wurden. Unter dem Geschrei der Vierbeinigen, die unter großem Hallo in den Wagen befördert wurden. Ein heller Pfiff, und mit viel Gerassel setzte das Bähnlein seine Wanderung fort. Einer stand dort einmal, schaute aufmerksam auf den ausfahrenden Zug; als der letzte Wagen vorbeifuhr, sprang er kühn auf die Puffer. Fein ging die Fahrt ging die Fahrt bis zum Wegäcker, dorthin wollte er und dachte, so eine bequeme Fahrt zu haben. Bei seinem Grundstück angelangt, sprang er von den Puffern herunter. Aber 0 weh! Er hatte die Schnelligkeit des „Hümmlinger Antons“ doch unterschätzt. Lange noch schmerzten ihm die Glieder, und er sagte: „Das tue ich nie wieder.“ An den Wegäckern kam es schon mal vor, daß ein Rind „bisend“ vor dem Zuge hertrabte, immer zwischen den Gleisen, trotz all der Kohlenstücke, die ihm vom Zugführer zuflogen. Es soll die Bahnfahrt von Rupennest bis Wahn lange gedauert haben; und zornig, fast fluchend stieg „Hempens Franz“ in Wahn von seiner Maschine! Wir verlassen das Bahngeleise durch die „Speuk-Straße“, einen schmalen Pfad zwischen den Büschen. Allte Wahner „Speukenkieker“ sollen die Bahn schon gesehen haben, längst bevor sie in den neuziger Jahren gebaut wurde.
Am Wege rechts steht ein Wegkreuz, errichtet zum Gedächtnis, daß hier in einer Sandkuhle ein 18-jähriges Mädchen den Tod fand, als sie weißen Küchensand holte. Wir kommen an unserer Molkerei vorüber durch die „Neistädt“ und gelangen wieder auf die Hauptstraße des Dorfes, zur großen Schule. Wieviel Kindheitserinnerungen sind mit diesem Gebäude verknüpft. Auch Erinnerungen an verehrte Lehrer und Lehrerinnen, denen wir zum Dank verpflichtet sind. Von dieser Schule aus wurden ja auch in feierlicher Prozession die Erstkommunikanten, die Schulentlassenen und die Jungsodalen und Sodalinnen zur Kirche geführt. Festlich war die Schule von innen und außen geschmückt. Wir kommen zum Schlingend. Rechts steht das alte Pfarrhaus, in dem unser „Köster Gerd“ jetzt wohnt, eine uns allen sehr bekannte Persönlichkeit. Am Anfang der Klusener Straße stand ehedem die kleine Lockhornsche Backsteinfabrik. Rechts zwischen den Kämpen aber liegt der bedeutsame Schützenplatz. Hier wurden frohe Stunden verkostet bei Spiel und Tanz. Welch prächtiger Zug durch die Straßen des Ortes. In der geschmückten Königskutsche saßen König und Königin. Von Schwakens Haus aus ging der Zug(?), wo das Königspaar zunächst die Parade abnahm. Jeder erwachsene Mann, der mit dem Zug durch das Dorf marschierte, hatte eine Vergünstigung für die Eintrittskarte des Festplatzes. So war für einen langen Schützenzug immer gesorgt. Welch ein Wetteifer der Männer beim Scheibenschießen! Welch ein Frohsinn der spielenden Kinder. Selbst für die Mütter und Frauen brachte das Schützenfest einmal wie- der sorglose Stunden. Mittelpunkt des ganzen aber war das Königszelt. Das ganze Jahr hindurch darf der Schützenkönig die Scheibe als Zeichen des Sieges vor dem Giebel seines Hauses zeigen. Ja, das Schützenfest war das eine, große Volksfest in Wahn.