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Kriegschronik 1914 – 1918

Die Gemeinde beim Ausbruch des Krieges

Auf Deutschland, auf, und Gott mit Dir!
Ins Feld! Der Würfel klirrt!
Wohl schnürt’s die Brust uns, denken wir
Des Blut’s, das fließen wird!
Dennoch, das Auge Kühn empor,
Den singen wirst du ja:
Groß, herrlich, frei, wie nie zuvor!
Hurra, Germania
Hurra Viktoria
Hurra Germania!

Mit diesen Worten Freiligraths beginne ich meine Chronik, denn sie bringen so recht die Stimmung zum Ausdruck, die beim Ausbruch des Krieges in unserer Gemeinde sich geltend machte. 1913. Das Jahr der 100. Wiederkehr der Befreiung Deutschlands vom Korsischen Joche. Im Volke, das angeblich Prophezeiungen und in gewissen Grenzen dem Aberglauben gerne zuneigt, kurz das Blutjahr genannt, hatte man den Ausbruch eines großen Krieges erwartet. Friedlich ging es zu Ende. Froh waren viele ob des glücklichen Endes dieses viel gefürchteten letzten Jahres. Nebenher muß ich bemerken, daß infolge der für dieses Jahr herrschenden Befürchtungen in hiesiger Gemeinde der Bau einer Scheune unterlassen wurde, obwohl er 1912 vorbereitet, aber nicht zur Ausführung gelangt war. Da kam am 28. Juni 1914 die schaurige Kunde von der Ermordung des österreichischen Thronfolgers Franz Ferdinand und seiner Gemahlin in Sarajewo. Hier und da wurden Befürchtungen laut, daß dieses der Anlaß zu kriegerischen Verwicklungen werden könne. Leider sollte es so sein. Als am 25. Juli die diplomatischen Beziehungen zwischen Österreich-Ungarn und Serbien abgebrochen waren, da erfüllten bange Ahnungen die Herzen unserer Bevölkerung. Mit Spannung erwartete man das Eintreffen der Zeitungen. Schon lange Zeit vor Eintreffen der Post fanden sich ältere Leute in der mit der Postagentur verbundenen Schwakschen Wirtschaft ein und diskutierten die Frage: „Was wird nun kommen?“ Allseitig setzte man große Hoffnungen auf die oft bewährte Friedensliebe unseres geliebten Kaisers. Erschien dann die Zeitung und gab Kunde von den langmütigen Bemühungen Sr. Majestät, um den Frieden zu er- halten, so hörte man wohl aus dem Munde eines Alten den Seufzer: „Noch ist es gutgegangen!“

Endlich sollte die Stunde kommen, die das Volk aus seiner Spannung erlösen sollte. Am Freitag, den 31. Juli 1914, Nachmittags gegen 41/2 Uhr hing im Aushängekasten der Postagentur die Bekanntmachung, daß der Postverkehr mit Rußland und Frankreich eingestellt sei. Gegen 7 Uhr Abends traf ein Bote vom Landratsamte beim Gemeindevorsteher Joh. Hempen ein und überbrachte die Meldung von der Erklärung des Kriegszustandes. Sofort wurde dieses in ortsüblicher Weise durch den Gemeindediener Bern. Behrens durch Ausklingein bekannt gemacht. Bald darauf sammelten sich zahlreiche Gemeindemitglieder bei der Postagentur, wo man hoffte, Näheres gewahr zu werden. Im Orte selbst hatte sich bereits das Gerücht von der Mobilmachung verbreitet. Allgemein herrschte große Erregung. Der Schneidermeister Langen kam, seinen Paß in der Hand.. ganz außer Atem angerannt und fragte den Schreiber dieser Zeilen, ob er schon am andern Tag wegmüsse. Er mußte sich am ersten Mobilmachungstag in Wilhelmshaven stellen. Erst als man ihm sagte, soweit sei es noch nicht, legte sich seine Erregung. 

Doch der 1. August 1914 brachte die Mobilmachung. Nachmittags gegen 4 Uhr wurde dem hiesigen Postagenten die Mitteilung, die Mobilmachungsorder zu öffnen, und sich mit den diesbezüglichen Bestimmungen und Anweisungen bekannt zu machen. Als um 6 Uhr, der Zeit des Eintreffens der Post, wieder zahlreiche Männer im Posthause verweilten, da erscholl ein sehr langes, einmaliges Klingelzeichen des Telefons. Alle ahnten, was kommen werde. Wenige Minuten und es erscheint der Postagent. Lautlose Stille, als er liest: Mobilmachung angeordnet. Erster Mobilmachungstag 2. August 1914.

Auch jetzt erfolgte ortsübliche Bekanntmachung durch den Gemeindevorsteher bzw. Gemeindediener. Der Schreiber dieser Zeilen über- brachte die Kunde von der Mobilmachung den Bewohnern des etwa 3/4 Stunde vom Orte Wahn und zu diesem gehörenden sogenannten „schroen Feld“, jetzt auch „Hohe Heide“ genannt. Große Angst um ihre Lieben machte sich in den Familien kund, die Angehörige ins Feld schicken mußten. Diese Angst und Besorgnis ließ auch in unserer stillen Bauernbevölkerung nicht die Wogen der Begeisterung so hochgehen, wie dies in den Städten der Fall war. Nichts desto- weniger waren unsere braven Krieger entschlossen, den Kampf um des Vaterlandes Bestehen auf sich zu nehmen. Und als die nächsten Tage weitere Kriegserklärungen brachten und manchern die Zahl der Feinde eine gar zu große erschien, da waren es gerade die jungen Krieger, die den Gedanken Ausdruck verliehen: „Wir werden trotz der vielen Feinde siegen!“

Am 2. August morgens um 6 Uhr fuhren die drei ersten Söhne unserer Gemeinde ab zu ihrem Gestellungsort. Es waren der Hofbesitzer Jos. Hensen, der Heuersohn Franz Lüken und der Schneidermeister Heinrich Langen. Letzterem wurde morgens um 5 Uhr, also kurz vor der Abreise, ein Kind geboren. Gewiß eine harte Scheidestunde. Rührend war es zu sehen, wie sich auf dem Bahnhofe die übrigen später abrückenden Mannschaften eingefunden hatten, um ihren Kameraden ein gesundes Wiedersehen zurufen. Auch hier zeigte sich wieder große Siegeszuversicht. Zu Weihnachten hoffte man wieder zu Hause zu sein.

Eine große Welle religiöser Betätigung machte sich unter den Scheidenden, aber auch unter den Zurückbleibenden bemerkbar. Keiner der ins Feld rückenden ist ohne Empfang der hl. Sakramente der Buße und des Altares von hier gegangen. So blieb es auch bei den später erfolgenden Einberufungen. Auch die Zurückgebliebenen suchten durch sehr gesteigerten Sakramentenempfang und Beiwohnung der sofort eingerichteten Kriegsandachten den Segen Gottes über unsere gerechte Sache herabzuerflehn. Allabendlich füllte sich unser altehrwürdiges Gotteshaus mit einer großen Anzahl von Betern.

Der Volksmund

Kriegserklärung auf Kriegserklärung folgte. Mancher sah mit Sorgen in die Zukunft. Alte Prophezeiungen tauchten auf und fanden auch in unserer Gemeinde Gläubige und Ungläubige. am meisten verbreitet und somit besprochen war wohl die von Reitern in weißer Uniform, die zur Zeit der Roggenernte von Börger herkommend in unser Dorf einrücken sollten. Man hielt diese Reiter für Engländer, wegen der weißen Uniformen.

Auch allerlei Gerüchte über Zusammenstöße mit Engländern, Franzosen und Russen, die für uns nachteilig entschieden waren, machten sich breit. Ging man der Sache einmal auf den Grund, so erwies es sich als Weibergeschwätz. Leider riefen solche Gerüchte manche Beunruhigungen wach. Da kam plötzlich die Nachricht von der Erstürmung der Festung Lüttich. Das gab auch manchem der schon Geängstigten Mut. Weitere Siege folgten.

Bergung der Ernte

Mit frischem Mut ging es nun an die Bergung der reichen Ernte. Man wurde sich bewußt, daß auch die Daheimgebliebenen mithelfen mußten den Sieg zu erringen. Der schändliche Aushungerungsplan unserer Fein de mußte zunichte gemacht werden. Alle Hände rührten sich, um zu diesem Zwecke das Ihre zu tun. Durch günstiges Wetter begünstigt, wurden alle Feldarbeiten ordnungsmäßig erledigt. Ja, es wurden eiligst noch wild liegende Grundstücke umgebrochen, so besonders links vom Wege, der nach Sprakel führt. Der Staat zahlte Grundstückseigentümern Beihilfen zur Kultivierung dieser Flächen.

Die ersten Gefallenen

Die ersten Kämpfe hatten uns Verluste gebracht. als erster aus der Ge meinde fiel der Musketier Franz Rohling, Sohn des Neubauern Math. Rohling. Er starb infolge eines Bauchschusses im Lazarett bei Reims im September 1914. Für seine Seelenruhe fand in der hiesigen Pfarrkirche ein feierliches Requiem mit Libere statt. Abweichend von sonstigen Trauerfeiern wurde die Tumba mit Blattpflanzen umgeben, und der zeitige Pfarrer Barenkamp hielt eine Ansprache an die Angehörigen und die Gemeinde. Der Kirchenchor sang unentgeltlich das Requiem und Libera. Bei spätem Totenfeiern für Gefallene wurde dieser Brauch beibehalten.

Liebesgaben
Auf Anregung des Herrn Pfarrers Barenkamp und unter Mithilfe des Lehrer Ohmes veranstaltete der Vorstand des Müttervereins und der Marianischen Jungfrauen-Sodalität eine Geldsammlung, um Liebesgaben für die Lazarette herzustellen. In der alten Schule wurde ein Kochherd aufgestellt. Hier versammelten sich die Frauen und junge Mädchen, um die freiwillig in großer Menge herbeigebrachten Früchte aus Garten und Feld einzukochen. Die Kinder sammelten Brombeeren. So konnten Ende Oktober 1914 dem Reservelazarett der Malteser-Ritter zu Hubertusburg bei Münster 2 Fass eingemachte Bohnen, 80 Flaschen sterilisierten Brombeersaft und 11 Kisten mit Gläsern und Töpfen verschiedenen Inhaltes, wie Kürbis, Gurken, Birnen, Pflaumen, Bohnen, Apfelmus u. v .m. überreicht werden. Dem für den Kreis Hümmling errichteten Zweigverein vom Roten Kreuz traten sämtliche Haushaltungen der Gemeinde bei. Die Gemeinde bewältigte auf Anregung des Herrn Landrates 930,- DM für die Zwecke des Roten Kreuzes.

In den Monaten November und Dezember 1915 wurde von den Frau- en und Jungfrauen der Gemeinde eifrig für die Krieger der Gemeinde gestrickt. So konnte jedem derselben zu Weihnachten ein Paket voll Wollsachen, wie Strümpfe und Kniewärmer, Leibbinden und Hemden übersandt werden. Auch Lebensmittel lagen diesen Paketen bei. Auch im 2. Jahre des Krieges blieben unsere einheimischen Feldgrauen nicht ohne Paket aus der Heimat. Im Frühjahr und Sommer sandte ihnen die Sodalität Liebesgabenpakete mit Lebensmittel und auf Wunsch auch als kleine Beigabe eine Dose mit Insektenpulver. Der Kirchenchor sandte seinen im Felde stehenden Mitgliedern ein Päckchen mit Zigarren. Im September und Oktober wurde wiederum für das Malteser Lazarett Hubertusburg eingekocht. Diesmal in der leer- stehenden Dienstwohnung des 2. Lehrers. Es konnten 1 Fass Bohnen und 4 große sowie 6 kleine Kisten mit Eingemachtem aller Art abgesandt werden auch 1 Sack getrockneter Äpfel. Für das Lazarett in Sögel wurde durch eine Krankenschwester eine Sammlung von Lebensmitteln in hiesiger Gemeinde abgehalten. Zwei hoch beladene Ackerwagen brachten das Gesammelte an seinen Bestimmungsort.

Ostpreußische Flüchtlinge

Anfang Februar trafen in unserem Kreis ostpreußische Flüchtlinge ein. Sie kamen aus dem Kreis Johannesburg. In unserer Gemeinde fanden 20 Personen Unterkunft. Gegen Ende März siedelten sie wieder in ihre befreite Heimat über.

Jagd auf Spione und entwichene Gefangene

Gleich zu Anfang des Krieges setzte eine Jagd nach Spionen ein. Es sollten Spione versucht haben an Brücken und Bahnen Sprengladungen anzulegen. Deshalb wurden Brücken und Bahnen stark bewacht. Auch Mitglieder unserer Gemeinde mußten öfters, bewaffnet mit Jagdgewehren, auf Posten ziehen, um amtlich gemeldete Spione, die anfangs in Automobilen das Land durchkreuzten, abzufangen. Die bei den Chausseen wurden bei der Molkerei und hinter dem Pastorat gesperrt durch Draht und quer über die Straße gestellter Wagen. Auch feindliche Flieger wurden gemeldet. Sofort rückten die Jäger der Gemeinde aus, doch es kamen keine. Später meldete man entwichene Gefangene. Immer wieder wurden Posten aufgestellt und Chausseen und Schienenweg der Bahn besetzt. Da aber nie etwas Verdächtiges erwischt wurde, so verloren die Leute bald die Lust am Postenstehen. Erst im November 1915 wurden durch Zufall zwei Kriegsgefangene ergriffen. Der Bahnagent Wilh. Oldiges und der Haussohn Bern. Rolfes kehrten spät abends von der Jagd (Anstand) heim. Sie gewahrten in der Nähe der Bahn zwei Männer in langen Röcken. Auf Anruf lief der eine in ein Stück Kohl, der zweite warf sich, da Rolfes Schreckschüsse abgab, auf die Erde. Beide wurden nun festgenommen und der Gendarmerie übergeben, die sie abends nach Sögel ins Gefängnis ablieferte.

Arbeitermangel (Kriegsgefangene)

Infolge der zahlreichen weiteren Einberufungen wurde die Zahl der arbeitsfähigen Männer in der Gemeinde immer geringer. Es nahte die Zeit der Ernte 1915. Rechtzeitig trafen auf Vermittlung des Herrn Landrats 36 gefangene Franzosen und Belgier in Begleitung dreier Wachmannschaften als Erntearbeiter hier ein. Die alte Schule wurde als Gefangenenlager eingerichtet. Die Fenster versah man mit dicken Eisenstangen. Rund um die Schule wurde ein Drahtzaun errichtet. Die Gefangenen wurden nun auf die Landwirte verteilt, welche Hilfe wünschten. Die Kost bekamen sie im Hause des Arbeitgebers. Im allgemeinen ist man mit der Arbeit der Gefangenen zufrieden. Ja einige sind darunter, die gelernte Landwirte sind und selbständig die vorkommenden Arbeiten verrichten können. Im Herbst 1915 wurden 16 Gefangene ins Gefangenenlager „Großes Moor“ zurückgesandt. Die anderen 20 blieben auch im Winter hier. Unter den gefangenen Belgier befindet sich ein deutschsprechender Barbier aus Brüssel, der jetzt jeden Sonnabend seinen Beruf ausübt. Eine böse Folge des Arbeitermangels ist das Steigen der Arbeitslöhne. Dieselben sind hier um 50% gestiegen. Ja, verschiedentlich ist versucht worden, ale Notlage ist in nicht zu entschuldigende Weise auszunutzen. Forderte doch allen Ernstes ein Vater für seinen Sohn als Knecht einen Jahreslohn von 1000,- M. Vor dem Kriege zahlte man hier höchstens 400-500,- M. Als Tageslohn wurde verschiedentlich 6,- M gefordert. So sah sich Schreiber dieser Zeilen veranlaßt, seinen Garten selbst zu graben. Es ging – Kriegsarbeit.

Verteuerung der Lebenshaltung

In den ersten Kriegstagen begann ein wahrer Sturm auf die Kolonialgeschäfte. Vor allem hegte die Bevölkerung Angst, es könnte am nötigen Salz fehlen. Schon am Abend des 4. August 1914 war bei den Händlern kein Salz mehr zu erhalten. Auch nach Petroleum und Weizenmehl war eine rege Nachfrage. Einige Haushaltungen hatten es verstanden, sich Petroleum und Weizenmehl in großer Menge zu beschaffen. Die Preise zogen bald an. Der Petroleum stieg nach und nach das Liter bis auf 40 und später bis auf 70 Pfennige. September 1915 gab es Höchst- preise, das Liter 34 Pfennig. Der dz. Weizenmehl wurde zu Anfang des Krieges mit 42,- M bezahlt, im Sommer 1915 kostete beschlagnahme- freies Mehl der kz. 140,- M. Die Befürchtungen wegen des Salzes gin- gen, da Salz ein einheimisches Produkt war, nicht in Erfüllung. Statt des Petroleums brannte man bald Carbid und Spiritus. Besonders verteuer- ten sich Tuche, Leinen und Wolle.

Die Preise für Kartoffeln erreichten gleichfalls eine ungeahnte Höhe. Kosteten dieselben bei Ausbruch des Krieges 2,00 -2,50 M, so schnellten sie im Frühjahr 1916 bis 5,00 bis 5,50 Mark empor. Die Festlegung der Höchstpreise hatte hier wenig Einfluß. 1916 im Monat Mai waren im Ort mehrere ländliche Haushaltungen, die keine Kartoffeln mehr hatten und durch die Gemeinde versorgt werden mußten. Die Frühkartoffeln 1916 waren wenig ertragreich und wegen des kalten Wetters sehr zurückgeblieben.

Die unten abgebildeten Tabelle zeigt sich die Preissteigerung für manche notwendigen Lebensmittel.

Kriegshilfe, Sammlungen

Verschiedentlich wurden von auswärtigen Personen Geldsammlungen für die Zwecke des Roten Kreuzes, für erblindete Krieger, für die Kriegsverletzten der Marine und ähnliche Zwecke abgehalten. Das Ergebnis soll stets ein gutes gewesen sein.

Kriegsanleihen

Bei Auflegung der I. Kriegsanleihe wurde in hiesiger Gemeinde nichts gezeichnet. Die 2. Kriegsanleihe brachte 10.000,- Mark. Bei der 3. Kriegsanleihe wurden 49.400,- Mark gezeichnet, und die Gesamtsumme der 4. Kriegsanleihe betrug 7.400,- Mark. Der Goldumtausch erbrachte bei der Sparkasse 2.300,- Mark gegen Papiergeld. Die 5. Kriegsanleihe erbrachte 61.000,- Mark.

Revision der Kartoffelvorräte

Ende Dezember 1916 fand eine Revision der Kartoffelvorräte durch die Militärbehörde statt. Größere heimliche Vorräte wurden nicht festgestellt. Die Gemeinde mußte It. Ausfall dieser Revision noch 70 Zentner Kartoffeln liefern.

Hartgeprüfte Familien

Ende Dezember starben zwei Kriegerfrauen. Zunächst die Frau des Gefreiten und Zimmermanns Michels. Sieben unmündige Kinder, das jüngste 9 Monate und das älteste 12 Jahre trauerten an der Bahre. Ihr folgte nach einigen Tagen die Frau des Gemeindevorstehers, Hempen. Hier hinterblieben vier unmündige Kinder. Beide Krieger weilten beim Tode ihrer Frauen hier auf Urlaub.

Weitere Liebesgaben

Zu Weihnachten sandte die Sodalität den im Felde stehenden Kriegern wiederum Pakete mit Lebensmitteln. Auch für das Lazarett Hubertusburg wurden wieder reichlich Gaben gesammelt.

Schießversuche bei Krupp

Das Gebiet der Gemeinde Wahn gehört zum Schießplatz Meppen der Firma F. Krupp, Essen. In Friedenszeiten wurde nur das Tiefmoor zu Schießversuchen in Anspruch genommen. Äußerst selten wurde bis an die Landstraße Wahn-Lathen und Wahn-Kluse geschossen. Da während des Krieges die Entfernungen für Artilleriefeuer sich immer mehr vergrößerten, so fanden allmählich fast wöchentlich Versuche statt, bei denen die Geschossaufschläge fast durchweg im Wahner Gebiete und darüber hinaus, bis nach Werpeloh, Neubörger Börgerwald und Börgermoor lagen. Die ersten Versuche mit weittragenden Geschützen fanden etwa 3 Wochen vor der Beschießung Dünkirchens statt. Der erste Schuß fiel morgens gegen 9 Uhr. Er soll bis ins Ostfriesische, gut 47 km weit gegangen sein. Nachdem die EinschlagsteIle festgestellt war, fiel nachmittags gegen 1/2 5 Uhr der zweite Schuss.

Derartige Versuche fanden in der Folge häufig statt. Am meisten in Mitleidenschaft gezogen wurde die Gemeinde bei Versuchen von ungefähr 19 km. Die Einschläge liegen dann auf dem Röbekamp und Berkof. Die Heidefläche der Kirchengemeinde zeigt heute noch Trichter an Trichter. Gelegentlich dieser Versuche flogen Sprengstücke und ganze Geschosse ins Dorf. Eines dieser Stücke warf den Schornstein der Jos. Henschen Besitzung ab. Geschosse schlugen bei Bergmanns Haus, bei der Molkerei, bei Ww. Ahrens Haus ein. Während man letzteren Einschlag noch in Augenschein nahm, er lag 1 m hinter dem Hausgiebel, ging ein Schrappnellschuss in die Pastorat. Es war am 16. Oktober 1916. Nachdem Dach und Zimmerdecke durchschlagen war, krepierte das Geschoß im Aktenschrank des Pfarrers und drang dann in den Fußboden ein. Sprengstücke fanden sich im ganzen Zimmer. Fensterscheiben und sonstiges Glas war durch den Luftdruck zersplittert worden. Akten lagen im Zimmer umher. Trotz alledem war der mitten im Zimmer am Tische sitzende Pfarrer Barenkamp mit zwei geringen Hautabschürfungen davon gekommen. Leider war durch die Explosion des Geschosses der Balken über der Tür hinausgeschleudert worden. Er war durch den Hausflur und die Küchentür in die Küche geflogen und wurden die Magd und ein Hamburger Ferienkind durch Splitter verletzt. Der Magd waren 3 Rippen gebrochen, das Kind kam mit geringen Verletzungen davon. Die Firma Krupp sandte von Meppen sofort einen Arzt und hat die Schäden auf ihre Kosten beseitigen lassen.

Infolge dieser Vorkommnisse wurde die Schußlinie etwas verändert. Doch bleibt der Ort Wahn, wie ein höherer Beamter der Schießplatzverwaltung sich ausdrückte, für den Schießplatz „ein Dorn im Auge“. Da die Versuche mit Geschossen aus neuen Metallmischungen eine weitere Gefährdung des Ortes Wahn ergeben haben, so hat die Firma sich entschlossen, die Gemeinde wegzukaufen. Es kamen weiter für den Wegkauf in Betracht die Gemeinden Sprakel, Rupennest, Teile von Stavern, Wippingen, Neubörger und Börgerwald. Laut Mitteilung des Herrn Landrates soll die Firma Krupp den Enteignungsantrag bereits gestellt haben. Die Bewohner unseres Ortes sind von dieser Nachricht nicht erbaut. Hatten die Schießversuche manche schwere Belästigung in Bezug auf die landwirtschaftlichen Arbeiten und den Weidegang des Viehs im Gefolge, so daß manchmal redlich auf die Firma Krupp geschimpft wurde, so will heute trotz alledem jeder lieber bleiben, als seine Heimat, mit der er so eng verwachsen ist, verlassen. Alte Bauern weinten bei Bekanntwerden dieser Nachricht: „Wohin denn“ ist die Frage aller. Die Zukunft wird es lehren.

Sechste Kriegsanleihe

Auch die 6. Kriegsanleihe erbrachte nach Vorträgen von Herrn Penneman, Brual, und Herrn Lehrer Ohmes über Deutschlands Wirtschaft und Finanzen 64.900,-,Mark.

Ablieferungen
Immer größeren Umfang nehmen die verschiedenen Ablieferungen, die der Gemeinde auferlegt werden, an. Wenn auch keiner freudiger Herzens liefert, so fügt er sich doch gerne der Notwendigkeit. Am eingreifendsten gestalten sich die Viehablieferungen. Hat doch schon manche Milchkuh geopfert werden müssen, um die erforderliche Anzahl Tiere aufzubringen. Die Milchproduktion muß zurückgehen, da auch unter dem Jungvieh, das für baldige Milchgewinnung vorgesehen war, stark aufgeräumt werden muß. Die kleinsten Rindviehhalter (1-2 Kühe) sind bis jetzt von der Ablieferung verschont geblieben. Getreide, Roggen, Hafer und Gerste müssen restlos, bis auf den eigenen Bedarf belassene, abgegeben werden. Scharfe Revisionen zwingen auch den Drückeberger zur Abgabe. Kartoffeln mußte die Gemeinde in der Hauptsache nach Recklinghausen liefern. Im großen Ganzen haben alle Bewohner unserer Gemeinde bislang ihrer Ablieferungspflicht Genüge getan, so daß von den infrage kommenden Behörden die Gemeinde als mustergültig hingestellt wurde.

Weitere Lieferungen

Ergänzend muß noch erwähnt werden, daß die Gemeinde auch Heu- und Strohlieferungen leisten mußten. 1917 mußten von jedem Morgen Grasgrund 51 Pfund Heu abgegeben werden. Die gesamte abzuliefernde Heumenge betrug 60.000 Zentner.

Flachsanbau

Den Bedürfnissen der Zeit entsprechend, schritt die Gemeinde zur Wiederaufnahme des Flachsanbaues. Auf Anregung von Lehrer Ohmes wurde 1916 der erste Versuch gemacht. Mehrere Landwirte bauten zusammen etwa 5 Morgen Flachs an. 1917 wurden bereits 11,5 und 1918 sollen 12,75 Morgen mit Flachs angebaut werden. Der Flachs wird als ungerösteter Stroh flachs an die Fa. P. Flenning, Flachsrösterei in Hamburg abgeliefert. Die Leinsamen verbleiben bis 10 Zentner dem Anbauer zur freien Verwendung in der eigenen Wirtschaft. Wie rentabel der Flachsbau ist zeigt sich darin, daß einzelne Anbauer pro Morgen einen Reinertrag von rund 400,- Mark erzielten. Der Flachs wird hier in umgebrochenen Wiesenland angebaut.

Siebente Kriegsanleihe

Zur 7. Kriegsanleihe wurden von 48 Zeichnern, einschließlich der Sammelzeichner 50.000,- Mark gezeichnet.

Enteignungssache Krupp

Am 28. Januar 1918 fand eine Gemeindeversammlung statt, in der Landrat Freiherr von Fürstenberg der Gemeinde den schon früher erwähnten Enteignungsplan zwecks Erweiterung des Kruppschen Schießplatzes bekannt gab. Im Auftrage des Herrn Regierungspräsidenten soll mit der Gemeinde über die durch die evtl. Enteignung in Frage kommenden öffentlich-rechtlichen Interessen der Gemeinde verhandelt werden. Zwecks weiterer Verhandlungen mit den Behörden wurde eine Kommission gewählt. Diese besteht aus folgenden Mitgliedern: 1. Dechant Barenkamp, 2. Lehrer Ohmes, 3. Kaufmann Schwake, 4. Hofbesitzer Temmen, 5. Hofbesitzer Thomes, 6. Hofbesitzer Gehrs, 7. Hofbesitzer Joh. Hempen, Gemeindevorsteher. Diese Kommission hat Schritte zur Hintertreibung der Enteignung unternommen. Bisher hat sie nichts erreichen können. So lange aber das Enteigungsrecht nicht verliehen ist, besteht Hoffnung, daß alles beim Alten bleibt.

Gefährlicher Schießversuch

Im Dezember 1917schlug ein 24 cm Geschoss in Temmen´s Eichen hinter der Schule ein. Es lag nur 53 m von der Giebelwand der Schule. Das geschah zum Glück in der Mittagspause. Es waren somit keine Kinder in der Schule und auf dem Schulplatze. Es handelte sich bei diesem Versuche um ein aus dem Felde zurückgebrachtes Geschütz, welches beinahe 2000 Schuß abgegeben hatte. Es sollte festgestellt werden, ob mit diesem Geschütz noch mit Treffsicherheit geschossen werden könne. Die bei den ersten Schüsse lagen auf 24.000 m und der dritte, unter gleichem Winkel abgefeuerte, schlug 5000 m kürzer, also in Temmen´s Eiche ein.

Die Molkerei während des Krieges

Die Dampfmolkerei Wahn, Genossenschaft m. u. H. arbeitete bis jetzt ohne Unterbrechung. Im Jahresdurchschnitt werden täglich 2.400- 2.500 Ltr. Milch verarbeitet. Der für Milch ausgezahlte Preis ist z. Zt. von 6 Pf. in Friedenszeiten auf 17. Pf. per Ltr. gestiegen. Vom Frühjahr 1915 bis Sommer 1916 war der Molkereiverwalter Radke eingezogen. Während dieser Zeit hielt seine Frau mit Hilfe eines Arbeitsmannes den Betrieb aufrecht. 1917 mußte ein neuer Dampfkessel eingebaut werden, da der alte unbrauchbar geworden war.

Militärische Vorbereitungen der Jugend

Wie anderwärts, so wird auch hier an der militärischen Vorbereitung der Jugend gearbeitet. Im Sommer 1917 machte sich ein starker Rückgang der Beteiligung bemerkbar. Die Ursache liegt wohl in der starken Arbeitsleistung, der sich die Jugendlichen jetzt unterziehen müssen.

Spar- und Darlehnskasse

Seit 1917 übernahm die Sparkasse die Auszahlung der Gelder für ab- geliefertes Vieh und seit November 1917 auch für abgeliefertes Getreide. Es wurden im Laufe des Jahres ausgezahlt: 1. Viehgeld: 94804,97 Mark, 2. Getreidegeld: 8605,76 Mark. Zur achten Kriegsanleihe wurden bei der Spar- und Darlehnskasse von 34 Zeichnern 38.800,- Mark gezeichnet.

Aberntung der Heide

Um den Mangel an Futterstoffen abzuhelfen, ist man dazu übergegangen, Heide abzuernten, um daraus Heidemehl und Heidehäcksel herzustellen. Durch Vermittlung des Schreibers dieser Zeilen sind in hiesiger Gemeinde und in Werpeloh etwa 900 Morgen Heide zur Aberntung angeworben. Die Aberntung geschieht durch ein Gefangenen-Kommando in Stärke von etwa 50 Mann. Engländer, Franzosen, Russen, Belgier und Italiener müssen im Schweiße ihres Angesichts die bis 80 cm hohe Heide mit eigens dazu hergestellten Sensen abmähen. Hiesige Gespanne fahren die Heide zur nahen Chaussee. Mittel eines Lastwagens wird dieselbe zur Bahnstation Lathen gebracht. Zum größten Teil geht dieselbe zur Nienburger Futtermittelfabrik zur Herstellung von Heidemehl, aber Teils geht sie auch an größere Güter zur Gewinnung von Häcksel, der mit Stroh vermischt an die Front geht für unsere Militärpferde. Die Leitung der Aberntung liegt in den Händen des Feldwebels Schröder aus Hamburg. Zur Bewachung der Gefangenen sind 6 Wachmannschaften anwesend. Gefangene und Wachposten sind in der Wirtschaft Rümpker untergebracht.