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Der große Brand

Wenn man die Chronik über die Brände früherer Zeit von Wahn liest, dann sollte man es wirklich mit bedacht tun. Es erschaudert einen, wenn man bedenkt, dass der Lehm, mit das wichtigste Baumaterial, weit außerhalb des Dorfes gegraben werden musste. Werpeloh und Lorup g. L. konnten an Ort und Stelle ihren Lehm graben und hatten somit einen Brandteich und Wasser für das Vieh. Genügsamkeit, Zähigkeit, Fleiß und Gottvertrauen haben diese Generationen ausgezeichnet. Die Bewältigung dieser schrecklichen Ereignisse verdient noch heute unsere Bewunderung.

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Ems- und Haseblatt Nr. 43 vom 26.10.1856

Schon 1885 war im „Schlingende“ ein größerer Brand ausgebrochen, der neun Häuser zerstörte. Aber das Jahr 1900 brachte einen ungleich größeren Brand, dem 75 Wohnhäuser mitsamt den dazugehörigen Gebäuden zum Opfer fielen. Dicht gedrängt lagen die Häuser nebeneinander. Sie hatten strohgedeckte Dächer. So nur war es möglich, dass der Brand so großen Umfang annahm. Wie aber kam es zu dem Brand? Und wie verlief der Unglückstag? Unsere Eltern haben uns oft davon erzählt.

Es war am 15. Mai des Jahres 1900, am Tag des Maimarktes von Sögel. Der Markt hatte damals eine ziemliche Bedeutung. Er wurde von den umliegenden Ortschaften zum Ein- und Verkauf von Vieh und ebenfalls zu anderen Einkäufen in Sögel benutzt. In Wahn war schon damals ein großer Viehbestand. Darum war der Markt für die Wahner von besonderer Bedeutung. Alle Wahner, die nur abkommen konnten, besuchten den Markt. So kam es, dass bei dem Brande fast gar keine Männer und wenige junge Leute im Dorfe waren. Die Zurückgebliebenen, meist Frauen und Kinder, aber traf es um so schlimmer. Es war nach langer Trockenheit ein sonniger Tag mit starkem Nordostwind. Um die Mittagszeit begann plötzlich der Brand im „Sand“, am Nordwestausgang des Dorfes. Wie das Feuer entstanden war, ist stets unklar geblieben. Die Dörfler liefen, soweit sie konnten, zu dem brennenden Hause. Aber schon hatte der Wind brennende Stücke des Daches empor gerissen und ließ sie auf Häuser in der Mitte des Dorfes niederfallen.

Ja, brennende Stücke Speck, so erzählt man, sind durch die Luft geflogen. So stand in wenigen Augenblicken das Dorf in Flammen. Meine Mutter erzählte: Ich war im Haus mit zwei Mädchen und zwei kleinen Kindern allein. Das erste war: das Vieh losketten und aus dem Hause treiben. Aber die Tiere wollten zum Teil nicht in den scharfen Brandgeruch, der die Luft erfüllte, hinaus. Manche Tiere kehrten wieder zurück, da sie auf dem gewohnten Weg, den sie auch jetzt liefen, vor hellbrennende Häuser kamen. Das zweite war: Inventar zu retten versuchen. Die Frauen griffen in die Räder der Wagen, die auf der Diele standen. Aber draußen vor dem Haus verbrannten sie noch. Da kam ein Mann vorbeigelaufen und rief: „Jau Kind hebb Ih jä vergäten!“ Das zweijährige Kind hatte die Mutter draußen mit einem Kissen auf die Erde gelegt. Es lag in der Nähe der Mauer. Der Mann hatte es schon aufgegriffen. Schnell noch den Kinderwagen aus dem Hause geholt. Das ging noch gerade. Noch einige Bücher und Akten schnell zu dem Kind in die Kissen geworfen. „Nümm du et ers man mit!“ Der Mann schob fort, um mit allem diesen aus der Hitze der brennenden Häuser fortzukommen. Im nächsten Augenblick fiel die brennende Strohdecke des Hauses dort nieder, wo das Kind gelegen hatte.

Es war nichts mehr zu retten. Das ganze Dorf stand in Flammen. Haus neben Haus. Das Knistern der rasenden Flammen, das dumpfe Zusammenfallen der Dächer, hier und dort das Stöhnen eines unter den Balken liegenden verbrennenden Tieres, das Rufen der Menschen – alles das erfüllte die Luft, die mit einer erstickenden Hitze und mit beißendem Rauch angefüllt war. Die Frauen weinten und schauten aus, ob die Männer noch nicht kamen. Hören wir einen der Männer erzählen, die eiligst von Sögel herbeilaufen. „Trinen-Josef (Sögel) berichtet: „Es war am Sögeler Mai-Markt mittags gegen 1 Uhr. Ich kam an der Post vorbei und hörte, soeben sei angerufen: „Halb Wahn brennt! Hilfe!“ Der ganze Markt kam in Aufregung. Ich lief zur Spritze. Es wurden gerade Pferde vorgespannt. Ich bekam noch einen Platz auf der Spritze. Als wir an den Ausgang des. Dorfes kamen, lief es im Sögeler Esch voller Menschen, hauptsächlich Wahner, die auf kürzestem Weg auf Wahn zueilten. Es kamen ein paar Radfahrer, die uns überholten. Aber es waren kaum fünf; denn Fahrräder gab es damals nur wenige. Der Wind war stark; darum blieb der Rauch niedrig. Auch wegen der Anpflanzungen hatten wir wenig Sicht. Als wir die letzte Höhe vor dem Wahner Esch erreicht hatten, sahen wir mit Schrecken, welche Ausdehnung der Brand genommen hatte. Mitten im Esch sahen wir einige Pferde wild umherlaufen. Auch Schweine irrten umher. Eines war ziemlich angebrannt. Ein paar Männer fingen es ein und schlachteten es.

Im Dorfe brannte es schon zu beiden Seiten. Man konnte fast nicht durch den Ort kommen. In den Gärten liefen Pferde, Rindvieh, Schweine, Menschen durcheinander. Einen Schwerkranken hatte man auf einen Wagen geladen und in die Gärten vor dem Dorf gebracht. Einer fragte den andern im Vorbeilaufen: Ist mein Haus auch verbrannt? Ein jeder eilte zu seinem Hause oder dem seiner Verwandten und fand zumeist nur einen brennenden Trümmerhaufen. Menschenleben sind, Gott sei es gedankt, nicht umgekommen. Zum Glück war das Rindvieh zum Teil schon auf den Weiden, so dass verhältnismäßig wenig Großvieh verbrannt ist. Um so mehr Kleinvieh. Es folgte eine eisige Nacht mit Frost; es waren die Tage der Eisheiligen. Viele, wohl die Mehrzahl der Wahner mussten ohne Bett übernachten. Es waren zu wenige Häuser übriggeblieben. Auch die Lebensmittel in den Häusern waren verbrannt. Es bildete sich noch an demselben Abend in Sögel ein Hilfskomitee. Die Sögeler Bäcker backten die Nacht hindurch andauernd Brot, das am frühen Morgen nach Wahn geschafft wurde. Die Wahner aber standen schweren Herzens an ihren Trümmerstätten. Wo sollten all die Familien unterkommen?

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Nach dem Brand sah es sicher so oder so ähnlich auch in Wahn aus…

In den wenigen Häusern, die stehen geblieben waren, fanden Verwandte und Bekannte Unterkunft, bis diese Häuser überfüllt waren. Es wurden Baracken gebaut, wozu der Landrat schnellstens durch seine Maßnahmen mithalf. In den Zeitungen erschienen Aufrufe vom Landrat, vom Vorsteher und vom Pfarrer. Es mangelte an Lebensmitteln, Gemüse, Kleidung, Betten usw. Ich weiß noch, dass von Sögel Betten, Möbel, Brennmaterial nach Wahn gebracht wurden. Zum Glück war vor knapp zwei Jahren die Hümmlinger Bahn gebaut. Ziegeleibesitzer Freesen in Langen hat als Fachmann Baumaterial in großen Mengen für Wahn gekauft. Die Bahn konnte den Verkehr nicht bewältigen; darum wurde die Firma Schmidt aus Lingen mit ihren Maschinen zu Hilfe genommen. Es kamen allmählich auswärtige Arbeiter, teils Holländer. Es war sehr schwierig, die Bauplätze von all dem Schutt zu reinigen. Oft sind auch die Sögeler zur Hilfeleistung nach Wahn gewandert. Inzwischen geschah die Planung für das neue Dorf, die Begradigung der Straßen und Wege, soweit möglich, und dergleichen. Das Dorf war zu dicht gebaut. Manche Besitzer kauften ein oder zwei Nachbargrundstücke an, während diese hinwieder am Dorfrand, vor allem an der Lathener und Klusener Straße, sich neue Plätze suchten. Die bisherige Bauart war die hannoversche. Die neuen Häuser aber wurden meines Wissens ausschließlich in der ostfriesischen Bauart errichtet, die auf die Bedürfnisse der Viehwirtschaft mehr Rücksicht nimmt. Es war gut so, zumal in den kommenden Jahrzehnten die Viehzucht in Wahn außerordentlichen Aufschwung nahm.“

Allen denen, die unserm Heimatort in schwersten Tagen beigestanden haben, widmen wir noch heute ein dankbares Andenken. Den vielen Wohltätern, ebenso auch den Behörden, vor allem Herrn Landrat Peus und Vorsteher Evers, und nicht zuletzt unsern hochverehrten Pfarrer J. Barenkamp. Wie hat er als echter guter Hirt sich um seine Gemeinde damals bemüht! Um Trost und Kraft und religiösen Halt zu bringen. Um ganz besonders den Bedürftigen Hilfe zu bringen. Um vieles, wie den Bezug von Baumaterial, zu organisieren und zu verbilligen. Um in den anschließenden Jahren auch die Landwirtschaft im Dorf zu heben, einträglicher zu gestalten und den Familien das Abtragen der Schulden zu erleichtern. Unsere Wahner haben sich durch Fleiß und Sparsamkeit auch bald wieder emporgearbeitet, sogar zu einem guten Wohlstand hin. Und unser Dorf selber ist – das ist, von späteren Jahren aus gesehen, die gute Folge des schweren Brandes – zu einem neuartig gebauten, schönen Dorf geworden. Von ihm Abschied zu nehmen, ist um so schwerer. Schwer auch im Gedanken an all die Schweißtropfen, die unsere Väter im großen Brandjahr und sonst hier vergossen haben. Mögen jetzt auch die Mauern wieder zusammenfallen, die Mühen sind dennoch nicht vergeblich gewesen. Im Buche Gottes sind sie eingetragen für die Ewigkeit.

Auszug aus dem Tagebuch des Lehrers Anton Hempen zu Emen Hilter (geb. am 16. Januar 1817 zu Wahn.):

  • 1810: Nachts vor Dreifaltigkeit brannten in Wahn auf dem Nordberg 7 Häuser ab.
  • 1838: Im Juli brannten in Wahn 40 oder 42 Häuser ab. Ich war im EIkere zum Gras mähen, als die Flammen eben vor Mittag aufstiegen.
  • 1855: Am 20. März sehr früh, etwa um 2 Uhr sind in Wahn 22 bewohnbare Häuser abgebrannt; auch das Haus meiner Eltern.
  • 1855: Am 2. Juli nachmittags gegen 5 Uhr schlug der Blitz in Dirkes Haus und legte es in Asche, wie auch das Nachbarhaus des Wahners Heßling